Was bedeutet reisen für dich?

Reisen bedeutet für mich vor allen Dingen Bewegung. Wenn ich reise, verlasse ich meine alltägliche Umgebung, das Land, in dem ich lebe oder auch die Sprache, die ich spreche. Was mich am Reisen am meisten interessiert, ist dieser Moment des Nichtverstehens. Wenn ich mich zum beispiel in Deutschland, aber auch in den meisten Ländern Europas bewege, dann läuft ja eigentlich alles ganz intuitiv ab. Wie ich mich bewege, zurechtfinde, Entscheidungen treffe. Ich verstehe den Aufbau einer Stadt, die Codes und wie das öffentliche Leben funktioniert. Das ändert sich, sobald ich in einen anderen Kulturkreis reise, in Länder mit anderen Schriftsystemen zum Beispiel. Da verstehe ich plötzlich nichts mehr. Das ist für mich der schönste Moment am Reisen.

Wie hat sich und dich das Reisen in den letzten Jahren verändert?

Das Reisen hat sich für mich vor allem in den letzten zwei Jahren der Pandemie schon sehr verändert. Ich lebe ja in Rumänien und Deutschland und reise deswegen ziemlich oft. Vor der Pandemie hätte ich es wohl pendeln genannt. Ein Flug von Bukarest nach Berlin dauert gerade einmal anderthalb Stunden. Seit der Pandemie nehme ich immer öfters den Zug. Das dauert drei Tage und ist eine wunderschöne Strecke über Wien und Budapest. Diese Entschleunigung des Reisens gefällt mir sehr gut.

Wo wolltest du immer schon mal hin?

Ha, das ist einfach! Nach Neft Daşları.Das ist eine aserbaidschanische Bohrinsel im Kaspischen Meer. 1948 von der damaligen Sowjetunion auf Stelzen im Kaspischen Meer angelegt, gilt sie als erste Offshore-Bohrinsel der Welt. Allerdings muss man sich das eher wie eine Kleinstadt vorstellen. Zu Hochzeiten haben dort 5000 Menschen gelebt. Es gab bis zu neungeschossige Häuserblöcke, ein Krankenhaus, ein Elektrizitätswerk, ein Gewächshaus, Bars, eine Bäckerei und sogar eine Limonadenfabrik. Alles über ein Netz aus insgesamt 300 Kilometer Stegen verbunden mitten im Kaspischen Meer. Absolut verrückt! (Lacht)

Verschickst du Postkarten?

Selten.

Sammelst du Souvenirs?

Ich würde es eher als das Sammeln von Bildern bezeichnen. Viele meiner Arbeiten entstehen ja auf Reisen oder sind durch Reisen inspiriert. Gerade die großen Installationen sind für mich auch Erinnerungsräume und Tragen Referenzen verschiedener Orte in sich realer und fiktiver Natur. Manchmal bringe ich von Reisen aber auch ein Rezept einer landestypischen Speise mit, in die ich mich verliebt habe. Vielleicht kommt das der Idee eines Souvenirs am nächsten.

Arbeitest du auch auf Reisen?

Ich arbeite eigentlich immer auf Reisen. Der Begriff ‚Urlaub' ist mir ziemlich fremd. Ich mag mich auch in der Rolle des Touristen nicht allzu gerne. Ich reise hauptsächlich, wenn ich zu einem bestimmten Thema forsche und eine neue Arbeit entwickle. Oder wenn ich an einem Artist-in-Residence-Programm teilnehme. Aber dann geht dem auch eine gedankliche Auseinandersetzung voraus, also die bewusste Entscheidung ‚da muss ich hin‘ oder ‚das finde ich interessant‘, aus den und den Gründen.

Wohin führt uns deine Arbeit, die du in Reisebüro - Sehnsucht nach dem Paradies zeigen wirst?

Meine Arbeit in der Ausstellung Reisebüro – Sehnsucht nach dem Paradies ist ein Fragment der Rauminstallation ‚The Near and the Elsewhere‘ von 2020. Die Arbeit führt uns in meine Heimatstadt Gotha und ist angelehnt an ein leer stehendes Schwimmbad, ein wundervolles, modernistisches Gebäude aus der DDR der 70er-Jahre, in dem ich Schwimmen gelernt habe und das 2013 abgerissen wurde. ‚The Near and the Elsewhere’ spiegelt meine persönlichen Erinnerungen in Bezug auf ein öffentliches Schwimmbad wieder. Dabei ist das Schwimmbad ein sichtbares Zeichen dessen, was einmal war. Die skulpturale Auseinandersetzung damit schafft allerdings einen ‚Möglichkeitsort’ für soziale und künstlerische Begegnungen, der wesentlich ist für meine künstlerische Praxis. Die Arbeit führt uns aber auch nach Bukarest und gibt uns Einblicke in das dortige architektonisch-kulturelle Erbe, das in großen Teilen vom Verfall bedroht ist. Seit einigen Jahren sammle ich auf meinen ziellosen Spaziergängen durch Bukarest heruntergefallene Stuckornamente. Daraus ist ein Archiv von über 300 Fassadenstücken entstanden, manche davon sind über 100 Jahre alt. Einige dieser Elemente sind als Repliken aus glasierter Keramik in der Ausstellung in einem neuen Kontext präsentiert. Die Arbeit ‚The Near and the Elsewhere’ balanciert zwischen dem Nahen und dem Fernen, dem Vertrauten und dem Nicht-Vertrauten, der Gegenwart und der Vergangenheit.