Ob aufdringliche Werbung für Pornos im Internet, skurrile Höchstleistungen für das Guinness-Buch der Rekorde, das massive Imageproblem der feministischen Bewegung oder Urban Gardening als grüne Revolte gegen das triste Grau vieler Großstädte – es sind immer aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Phänomene, mit denen sich Elisabeth Windisch in ihren Arbeiten auseinandersetzt.

Die Wirklichkeit ist für sie dabei zugleich Ausgangspunkt und künstlerisches Material. Von einer bestimmten Fragestellung, Beobachtung oder Idee ausgehend entwickelt sie raumgreifende Installationen, mit denen sie auf den jeweiligen Ausstellungsort reagiert und dabei das Spezifische der vorgefundenen Situation hervorhebt. Meist verwendet sie alltägliche Materialien und Gegenstände, die sie jedoch in ungewohnten Formen, Kontexten und Beziehungen zeigt, so dass sich neue, unerwartete und oftmals irritierende Bedeutungen ergeben. Die Unabgeschlossenheit ihrer Arbeiten ist für die Künstlerin elementar. Das Kunstwerk als Experiment, bei dem Zeit und (chemische) Reaktionen eine entscheidende Rolle spielen und das Endergebnis mitbestimmen.

Um ihr Diplom an der Kunstakademie Düsseldorf zu erhalten, hat Elisabeth Windisch aus 500 Kilo Götterspeise den größten Wackelpudding der Welt hergestellt. „AMBROSIA OFFICIALLY AMAZING“ war eine minimalistische Skulptur, die während der Ausstellungsdauer jedoch allmählich in Stücke zerbracht. Es war die Wärme im Raum, die zur Auflösung der Form führte. Auch bei „Frauengold“ ging es um das Zusammenspiel von Konzeption und schöpferischem Zufall. Vollendet wurde die Arbeit unter anderem durch einen ebenso unkalkulierbaren wie auch unkontrollierbaren Faktor: die Ausstellungsbesucher. Großformatige und zugleich äußerst fragile Skulpturen aus Mehl verführten mit ihrer uneindeutigen Materialität zum Berühren, wodurch die ursprüngliche Form unwiederbringlich zerstört wurde.

In ihren aktuellen Arbeiten befasst sich Elisabeth Windisch mit dem Moment der Zucht. In laborartigen Situationen entstehen aus Alaunsulfat künstliche Kristalle, die eigenständig wachsen und sich ausbreiten. In der Biologie wird mit dem Begriff „Zucht“ die kontrollierte Fortpflanzung bezeichnet: gewünschte Eigenschaften werden verstärkt und ungewünschte Eigenschaften unterdrückt. Beim Züchten werden somit Werturteile darüber gefällt, was weiter bestehen darf und was nicht. Elisabeth Windischs Kristallzuchten sind performative Skulpturen, die ihren eigenen Entstehungsprozess reflektieren ebenso wie das Streben nach Optimierung und Transformation des Vorhandenen.

Kunst und Wirklichkeit. Elisabeth Windisch überträgt gesellschaftliche Phänomene in den Bereich der Kunst und macht dadurch die komplexen Mechanismen, Regeln und Wertesysteme des Kunstbetriebs sichtbar. Indem sie als Akteurin und Beobachterin permanent zwischen der Innen- und Außenperspektive wechselt, gelingt es ihr, die gesellschaftliche Realität und das System Kunst immer mit anderen Augen zu betrachten.

Anne Schloen